Hörgeräte und deren Entwicklung – Von Hörtrompeten zu Spitzentechnologien

Hörgeräte haben eine faszinierende Entstehungsgeschichte. Vom Verstärkerrohr über den tischgroßen Hörapparat bis hin zu technologischen Wundern der heutigen Zeit - die Entwicklungsfortschritte sind erstaunlich groß. Die ersten Geräte beanspruchten so viel Platz wie ein kleiner Koffer. Diese Hörgeräte waren nicht vergleichbar mit digitalen Hörsystemen, die heutzutage unauffällig am oder im Ohr sitzen. In diesem Beitrag erfahren Sie die wichtigsten Meilensteine in der Geschichte der Hörgeräte.

Hörrohre im 17. Jahrhundert - Der erste Schritt

Die Entwicklungsgeschichte der Geräte ist geprägt von Kriegen und Freundschaften. Die ersten Hörhilfen tauchten im 17. Jahrhundert auf, als das Land vom Dreißigjährigen Krieg zerrüttet war. Zu Beginn waren nur ein paar Instrumentenbauer in der Lage, Hörgeräte herzustellen. Menschen mit Hörproblemen schätzten diese Technik zur damaligen Zeit sehr.

Verschiedene Hörrohre
Verschiedene Hörrohre:Frederick Dekkers,
Public domain, via Wikimedia Commons

Hörgeräte - Die erste kommerzielle Produktion

Frederick C. Rein erschloss im frühen 18. Jahrhundert diesen noch neuen Markt. Er begann geschäftstüchtig mit der Produktion von Hörtrompeten. Das Prinzip der Knochenleitung zum Innenohr (Cochlea) wird ein Jahrzehnt später entdeckt, indem die Knochenleitung mit einem Holzstab nachempfunden wurde. Jetzt ruhte erstmal die Entwicklung der Hörgeräte. Erst im Jahr 1895 verändert eine bedeutende Erfindung die Geschichte grundlegend.

Zur Hörrevolution durch einen Freundschaftsdienst

Ein Freund des 22-jährigen Studenten Reese Hutchison ist infolge einer Scharlacherkrankung ertaubt. Daraufhin baute Hutchison das erste elektronisch betriebene Hörgerät. Das sogenannte Akouphone schrieb somit ein neues Kapitel in der Geschichte der Hörgeräte. Der Apparat war allerdings noch recht sperrig und musste auf einer Erhöhung stehen. Somit war der Transport des Geräts stark eingeschränkt. Im Akouphone befand sich ein Kohlenstoffsender, der das schwache elektronische Signal in ein stärkeres Signal umwandelte.

In Amerika verkaufte sich das Hörgerät nur sporadisch. Hutchison zog deshalb nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg nach Europa, denn dort gab es viele Adelige, die vererbungsbedingt taub oder schwerhörig waren. Königin Alexandra von Dänemark förderte die Weiterentwicklung und Vermarktung des Hörgeräts. Sie war von der Erfindung sehr überzeugt, da sie mit dem Gerät ihre Taubheit lindern konnte.

Nur 6 Jahre später entwickelte Hutchison das Akouphone zu einem mobilen Gerät weiter. Das Acousticon erleichterte den Transport und die Bedienung. Hutchison übertrug die Rechte dieser Entdeckung 3 Jahre später an Kelley Monroe Turner. Turner arbeitete weiter am Hörsystem, indem er eine Lautstärkeregelung einbaute.

Hörgeräte - Weiterentwicklung durch menschliche Verbundenheit

Im Jahr 1911 wurde die Entwicklung der Hörhilfen von der Firma Siemens fortgeführt. Siemens hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Berührungspunkte mit dem Thema Schwerhörigkeit. Der Gründer Werner von Siemens entwickelte 1878 einen Telefonhörer mit akustischem Verstärker. So konnten auch Menschen mit Schwerhörigkeit telefonieren.

Dem schwerhörigen Direktor der Deutschen Bank Carl Kloenn fiel es im Jahr 1911 immer schwerer, Geschäftskonversationen zu verstehen. Deshalb wandte er sich an seinen Freund August Raps, der damals Leiter der Siemensstadt in Berlin war. Mit ihm sprach er über den Wunsch nach einer elektrischen Hörhilfe. Daraufhin beauftragte Raps seinen Mitarbeiter Louis Weber mit der Weiterentwicklung.

Weber hatte sich zum Ziel gesetzt, das kleinstmögliche Hörgerät zu kreieren. Das Gerät sollte sich vom auf dem Markt erhältlichen Acousticon abheben. Es gelang ihm nach vielen missglückten Versuchen, ein besonders sensibles Körnermikrofon zu entwickeln. Das Mikrofon baute er mit einer 3-Volt-Batterie und einem kleinen Hörer zusammen. Doch der schwerhörige Carl Kloenn war mit diesem Gerät nicht zufrieden. Weber startete verzweifelt einen letzten Versuch, indem er den Hörer durch einen Doppelkopfhörer austauschte. Jetzt konnte der Direktor auf seinem tauben Ohr wieder hören.

Im Jahr 1913 kamen Hörgeräte mit 3 unterschiedlichen Verstärkermodellen auf den Markt. Der Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen nutzte in den letzten Lebensjahren ein besonders fortschrittliches Modell.

Hörgeräte und Schiffsbau - Der Durchbruch

Der nächste Meilenstein in der Entwicklung der Hörsysteme ist amerikanischen Schiffsbauingenieuren zu verdanken. Ingenieure entwarfen 1920 das erste Vakuumröhrenhörgerät, das sogenannte Vactuphone. Das Gerät nutzte die Telefontechnik, indem Schallwellen in elektronische Signale umgewandelt wurden. Der Apparat war für heutige Verhältnisse groß und sperrig. Zudem waren die erforderlichen Batterien sehr teuer. Dennoch überdauerte diese Technik die folgenden 30 Jahre.

Hinein in die Tasche - Die Verkleinerung der Hörgeräte

Im Zweiten Weltkrieg entwickelten sich zahlreiche Technologien rasant weiter. Viele Länder waren bestrebt, den Kriegsausgang durch Erfindungen bestimmen zu können. Eine bedeutende Entdeckung aus dieser Zeit waren die Transistoren. Das sind elektronische Halbleiterbauelemente, die das Regulieren elektrischer Ströme möglich machten. Das war ein elementarer Fortschritt, da die Technik verkleinert werden konnte. So entstanden Hörhilfen, die nur so groß wie eine Zigarettenschachtel waren.

Hinterm und im Ohr - Hörgeräte im Fortschritt

In den 60er Jahren konnten Patienten die Geräte hinter dem Ohr tragen. Das Hörgerät hatte noch ziemlich große Batterien, die nach einem Tag gewechselt werden mussten. Diese Hilfen zeigten schon viele Gemeinsamkeiten mit den heutigen Hörsystemen. Siemens brachte im Jahr 1966 das Hörgerät mit der Bezeichnung "Siretta 339" hervor. Der Grundstein war somit für alle weiteren Im-Ohr-Geräte gelegt.

Das erste Hörsystem, das vollständig hinters Ohr passte, erschien im Jahr 1989. 1996 war die Geburtsstunde des modernen Hörsystems. Das erste digitale Gerät brachte die Firma Widex unter dem Namen "Senso" auf den Markt. 2004 entwickelte Siemens den Grundstein für das erste Binaurale Hörgerät. Die Systeme kommunizierten per Funk und konnten dadurch die natürliche Interaktion der Ohren simulieren.

Hörgerät

Auf geht's zur Digitalisierung

Mit der Entwicklung von Mikroprozessoren im Jahr 1970 ging der Fortschritt rasant voran. Mikroprozessoren ermöglichten es, Hörsysteme kleiner und leistungsstärker herzustellen. Das war der Ursprung für die digitalen Hörgeräte in den 80ern. Sie konnten sich der Hörsituation anpassen und Umgebungsgeräusche interpretieren.

Gegenwart - Die Entwicklung geht weiter

Hörgeräte nutzen seit einigen Jahren Bluetooth-Technologien, sodass man Hörsysteme mit dem Smartphone steuern kann. Es ist sogar eine simultane Übersetzung über die Smartphone-Verbindung möglich. Die Nutzer können mit den Geräten telefonieren und Musik genießen. Hörgeräte unterdrücken Lärm und heben Gespräche hervor. Das war ein langer Weg bis hierhin - und er geht weiter mit Hinter-dem-Ohr-Hörsystemen, RIC-Hörsystemen, Im-Ohr-Hörsystemen, Gehörgangs-Hörsystemen und komplett im Gehörgang sitzende Hörsystemen.

Forscher arbeiten stetig an neuen Heilmethoden, Technologien und vielen weiteren Innovationen in der Medizin. Während die Hörtrompeten in alten Zeiten noch unhandlich und auffällig waren, sind moderne Hörsysteme kaum noch sichtbar. Softwareunternhemen wie die Organon Informationssysteme GmbH setzen zum Beispiel auf Algorythmen der künstlichen Intelligenz, für die zusätzliche Unterstützung von Hörgeräten bei der Geräuscherkennung.

Welche technologischen Highlights zukünftige Meilensteine setzen, weiß heute noch keiner. Eins ist aber sicher: Die Entwicklung der Hörgeräte hält weiterhin große Überraschungen bereit.

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